Der verlorene Kampf um Glaubwürdigkeit

Die Grafik am Ende des Textes zeigt eine Übersicht zu den Funktionären im Fifa-Korruptionsskandal. Foto: Christopher Stolz

Am Ende des Textes gibt eine Grafik eine Übersicht zu den Funktionären im Fifa-Korruptionsskandal. Grafik: Christopher Stolz

Nach dem überraschenden Rücktritt des Fifa-Präsidenten Joseph Blatter gibt es viele offene Fragen. Seine Rede auf der Pressekonferenz in Zürich gibt nur wenige Antworten. Anhand seiner kurzen Worte lässt sich nur erahnen, warum und wie es weitergehen soll. Der Raum für Spekulationen ist geöffnet. Ist der Rückzug ein Schritt in die richtige Richtung, was wäre diese richtige Richtung überhaupt und wohin könnte das eigentlich führen? Ein Kommentar.

Das Unmögliche ist eingetreten: Fifa-Präsident Joseph Blatter ist zurückgetreten. Nur gut eine halbe Woche nach seiner Wiederwahl und der Drohung bis 2019 bleiben zu wollen. Der 79-jährige stellt sein Amt am Ende des Jahres zur Verfügung – will sein Werk bis zur Wahl des neuen Präsidenten fortführen. Einen Tag nach dem Beben, das die Fußballwelt fast genauso erschüttert hat, wie der Korruptionsskandal in der vergangenen Woche, stellt sich die Frage: Warum jetzt und nicht viel früher? Die Antworten sind nichts weiter als Spekulationen.

Blatter will nicht Platz machen für einen Neuanfang. Er lässt ab, da er keine hundertprozentige Rückendeckung mehr spürt. Erste Stimmen werden laut, die den Rücktritt sehr begrüßen, die Meisten davon aus Europa. Stimmen, die sich einen Neuanfang erhoffen und Blatters Rückzug als längst überfällig ansehen – und schon vor Wochen gesehen haben. Doch darf man eine Ära, die Blatter zweifelsohne – mit welchen Mitteln auch immer – geprägt hat, einfach so schlecht reden? Ja, darf man. Blatter und der Fifa fehlte es an Glaubwürdigkeit.

„Obwohl ich ein Mandat von den Fifa-Mitgliedern habe, glaube ich nicht, dass ich ein Mandat der gesamten Fußballwelt habe“Joseph Blatter
Die letzten Tage in den Medien gingen über das kritische Hinterfragen des Systems Fifa hinaus. Sicher, es auch war teilweise schlechter Stil, diese Hetzjagd auf Blatters alte und neue Fifa. Doch eine kritische Frage muss erlaubt sein: Warum hatte man Tage nach der Festnahme hochrangiger Fifa-Funktionäre und Blatter-Vertrauter immer noch den Eindruck, dass dies alles nichts mit der Fifa zu tun hat?

Immer wieder wiederholte der Schweizer Patriarch, dass die Geldwäsche und Korruption Taten von Einzelpersonen waren, losgelöst vom größten Fußballkonzern versteht sich. Dabei ist es naiv zu denken, dass ein Machtmensch wie Blatter, der das Unternehmen Fifa seit 1998 führt, von fiesen Machenschaften in seinen Reihen nichts mitbekommen hat. Aber warum verschließt er die Augen davor? Offensichtlich will er einfach seinen Kopf retten. Als ob er wirklich nichts wüsste.  Glaubwürdigkeit muss her. Die Rücktritt-Ankündigung kann man getrost als Schuldeingeständnis verstehen, auch wenn noch nichts gegen ihn vorliegt. Dies könnte sich allerdings schnellstmöglich ändern – das FBI ermittelt mittlerweile auch gegen Blatter.

„Ich habe schon früher für diese Veränderungen gekämpft, und, wie jedermann weiß, wurden meine Bemühungen blockiert“Joseph Blatter

Da über die genauen Beweggründe nicht viel bekannt ist und Blatter nach der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz auch keine Fragen zuließ, darf munter weiter spekuliert werden. Dass er keine Rückendeckung mehr genießt, ist offenkundig und auch Teil seines Statements von Zürich am Dienstagabend. Blatter, der aus der Fifa eine Geldmaschine machte, sieht seine Bemühungen, seinen Einsatz für Veränderungen, sogar blockiert. Der Rücktritt also als Eingeständnis eines verlorenen Kampfes. Wie auch soll ein 79-Jähriger ein derart großes Unternehmen weiter verändern, gar modernisieren? Gar nicht. Es bedarf schon jetzt grundlegender Reformen, die der Schweizer durchbringen wollte, aber nicht konnte und durfte. Sonst würde Blatters Erbe alt und staubig übernommen werden. Und wieder hätte die Fifa nichts an Glaubwürdigkeit dazu gewonnen. 

„Wir brauchen tief verwurzelte strukturelle Veränderung“Joseph Blatter

Der Schrei nach Neuem darf aber nicht zur reinen Phrase werden. Denn Blatters Rücktritt ist schon die am tiefsten verwurzelte strukturelle Veränderung, die es je geben konnte. Eine Fifa ohne Blatter – das wurde lange für unmöglich gehalten. Jetzt ist es die schlichte Notwendigkeit. Und nicht nur das: In einem ORF-Interview sagte Blatter-Kenner Jens Weinreich am Tag des großen Bebens, dass eine strukturelle Veränderung nur möglich ist, wenn die Entscheidungsgremien der von Korruption betroffenen Verbände komplett ausgetauscht würden. 

Auch wenn der Geldwedelei damit sicherlich kein Abbruch getan würde, hätte man die Grundproblematik erkannt: Der Fisch stinkt vom Kopfe her – deshalb müssen eben jene Köpfe rollen, die mit den Machenschaften in Verbindung gebracht werden. Unschuldsvermutung hin oder her: Wenn sich etwas ändern soll, muss hart durchgegriffen werden. Dann darf auch auf hochrangige Einzelpersonen keine Rücksicht genommen werden. Denn: Waren es nicht solche Einzelpersonen, die die kolpotierten 150 Millionen Euro Schmiergeld in Umlauf gebracht haben sollen?

„Daher habe ich mich entschieden, mein Mandat bei einem außerordentlichen Wahl-Kongress niederzulegen. Ich werde meine Funktionen als Fifa-Präsident bis dahin weiter ausüben“Joseph Blatter

Bleiben zwei wichtige Fragen zum Rückzug offen: Warum jetzt und nicht schon vor einer Woche? Und wer könnte folgen? Blatter ist ein Machtmensch – durch und durch. Ein so abruptes Ende, in die Knie gezwungen durch den größten Schmiergeld-Skandal der Fifa-Geschichte – das hätte nicht zu ihm gepasst. Blatter wollte selbst entscheiden, wann und wie er abtritt und wie es weitergehen soll. Und so wird sein Einfluss auch noch über das Jahr 2015 hinaus gehen.

Für Außenstehende mag die Vorgehensweise in sich unlogisch wirken. Aber das ist sie nicht. Erst feierlich wiedergewählt, es allen Kritikern einmal mehr gezeigt. „Ich verzeihe, aber ich vergesse nicht“, hatte er gesagt und bestimmt nicht wenigen Gegnern Respekt eingeflößt. Doch nun, nur vier Tage später, soll Blatters Ära plötzlich endlich sein, das Ende sehr nah – und doch so weit weg. Kann Sepp wirklich loslassen? Bis dahin wird es viele Spekulationen geben. Spekulationen zu Nachfolge-Kandidaten, zu deren Visionen und warum es damit besser werden soll.

„Wichtiger als alles andere ist mir, dass, wenn all dies vorüber ist, der Fußball als der Sieger hervorgeht“Joseph Blatter

Wichtig bei der Suche nach Antworten ist: dem Fußball ein Stück näher kommen. Blatter will den Fußball als Sieger sehen und hat damit ausnahmsweise einmal völlig recht. So muss sein Nachfolger Kompetenzen mitbringen, die über das Wirken als Funktionär hinausgehen. Fifa-Chef Blatter hat nie professionell Fußball gespielt. Er ist Funktionär durch und durch – er ist dem beliebten Sport so nah und doch so fern. Die neue starke Person muss daher ein Ex-Profi sein, der Einiges vorzuweisen hat – denn er muss die Glaubwürdigkeit zurückbringen. Glaubwürdigkeit, die dem Volkswirt Blatter um die Ohren gehauen wurde. Und mit ihm der ganzen Fifa.

 

 

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