Neben der Modenschau und der Fotodokumentation dieser Modenschau beschäftigen Sie sich noch auf andere Weise mit dem Thema Schönheit und Blindheit: Sie geben auch Fotokurse für Blinde.
Ich habe das erste Fotoseminar für Blinde gerade absolviert. Im Moment läuft dazu noch eine Ausstellung. Im Sommersemester werde ich den Kurs aber wiederholen, weil er so gut angekommen ist. (Karsten Hein ist Dozent an der Alice Salomon Hochschule in Berlin, Anm. d. Autorin)
Blind fotografieren – da denke ich zuerst: „Das geht nicht!“ Wie kann ich mir einen Fotokurs für und mit Blinden vorstellen?
Für den Fotokurs hat jede blinde Fotografin und jeder blinde Fotograf zwei sehende Studierende an die Seite gestellt bekommen. Der eine hat jeweils beschrieben, was auf dem Display der Kamera zu sehen ist – wir haben alle digital fotografieren lassen – und hat mit der Fotografin oder dem Fotografen darüber diskutiert, was man verändern müsste, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.
Der andere Studierende hat alles stichwortartig notiert, um den Dialog dann später in eine Art Text einfließen zu lassen, sodass wir dann normalerweise immer zwei Texte zu jedem Bild hatten: Einen mit der Wahrnehmung der blinden Fotografin oder des blinden Fotografen, also was er oder sie in der Situation gehört, gerochen oder sonst irgendwie wahrgenommen hat, und wie es dann genau zu dem Bild gekommen ist. Und eine Bildbeschreibung.
Video über den Fotokurs von Karsten Hein auf Vimeo ansehen.
Gerade Fotografie hat ja auch viel mit Schönheit zu tun: Schöne Orte, schöne Menschen, Symmetrie. Wie vermitteln Sie das den blinden Fotografen?
Es wird ihnen auf jeden Fall ganz genau beschrieben. Wie detailliert die Beschreibung ist, worauf der Schwerpunkt liegt, das liegt im Interesse der jeweiligen Fotografin oder Fotografen. Aber auch an der Fähigkeit, der Aufmerksamkeit oder dem Talent der jeweiligen Studentin oder des Studenten. Also das ist schon ein Dialog.
Hat dieser Dialog im Fotokurs immer gut funktioniert?
Es gab Teams, wo alles extrem spärlich ausgefallen ist – wo sowohl das Bedürfnis, die Umgebung beschrieben zu bekommen, sehr gering war, als auch die Fähigkeit, sie zu beschreiben. Es gab aber auch Teams, wo das sehr ausführlich war und in stundenlange Diskussionen gemündet ist. Von diesen Teams, also den blinden Fotografen und Studierenden, die das ernst genommen haben, gibt es auch über das Seminar hinausgehende Freundschaften. Da hat sich so eine Art Fotoclub gebildet – unabhängig vom Seminar.
Ihrer Erfahrung nach: Was haben die blinden Fotografen persönlich von dem Fotokurs?
Das eigentliche Ziel des Seminars, das Hauptergebnis oder das Hauptprodukt, ist der Dialog, der dort stattfindet. Das begreifen auch alle Beteiligten so. Trotzdem passiert auch immer etwas Einzigartiges: Jede Fotografin und jeder Fotograf ist auf das eigene Foto auch stolz und freut sich zum Beispiel sehr auf die Ausstellung.
In der Zwischenzeit sind ein paar Artikel über den Kurs erschienen, wo jeweils nur ein Foto abgedruckt wurde. Und da gab es dann auch schon Eifersüchteleien, warum das eigene Foto dann nicht für den Titel genommen wurde. Da sind die blinden Fotografen auch nicht anders als andere Fotografen auch.
Wie profitieren Sie von der Arbeit mit Blinden?
Die Fotografie ist ein super Medium, sich über das visuelle Feld – also über das, was gerade sichtbar ist – zu verständigen. Und das ist gerade zwischen Blinden und Sehenden einfach extrem spannend.
Ich bin nie so gefordert, meine Wahrnehmung zu rechtfertigen oder zu begründen, wie gegenüber einer blinden Person. Von dem Moment an, in dem ich mit einer blinden Person konfrontiert bin, der ich erzählen muss, was ich da sehe, ist mein Sehen nicht mehr selbstverständlich. Das ist wirklich ein ganz enormer Erkenntnisgewinn.
Teaserfoto und Fotos: Karsten Hein
Interview: Andrea Böhnke
Audios: Kevin Barth