Standing Ovations für den bekennenden Europäer

Foto: Mettmann/ Wikimedia Commons. Teaserbild:

Foto: Mettmann/ Wikimedia Commons. Teaserbild: Moritz Kosinskiy / Wikimedia Commons

Es war perfekt inszeniert. Noch bevor Martin Schulz bei seiner Wahlkampfveranstaltung in Dortmund auch nur ein Wort an die Menge gerichtet hatte, wurde er von seinen Parteigenossen bereits mit Sprechchören und stehenden Ovationen gefeiert. Rund 2000 Interessierte, die meisten davon SPD-Mitglieder, hatten sich am Freitagnachmittag auf dem Willy-Brandt-Platz im Schatten der Reinoldi-Kirche versammelt und reckten Martin-Schulz-Plakate in die Höhe, als dieser sich einen Weg zur Rednerbühne bahnte.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kündigte ihren Parteigenossen stolz als „ersten Kandidaten, auf den sich alle sozialdemokratischen Parteien Europas geeinigt haben“ an. Der Vorsitzende des Europäischen Parlaments sollte seine Anhänger mit einer flammenden Rede für einen Kurswechsel in der Europapolitik nicht enttäuschen. Schon zu Beginn seiner Ansprache machte Schulz deutlich, dass die Wähler bei der Europawahl am 25. Mai eine historische Chance hätten: Der Präsident der Europäischen Kommission, welche die europäische Politik maßgeblich bestimme, werde in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt durch eine demokratische Wahl bestimmt. Im Erfolgsfall versprach Schulz eine transparente Europapolitik. Als „bekennender Europäer“ sei er unzufrieden darüber, dass in der Europäischen Union so viel falsch laufe: „Ich will Europa wieder vom Kopf auf die Füße stellen.“

Euro-Krise noch nicht beendet

Erzürnt zeigte sich der gebürtige Rheinländer auch darüber, dass die Euro-Krise vielerorts schon für beendet erklärt worden sei. Erst wenn die 27 Millionen Arbeitslosen in der EU wieder eine Zukunft hätten, könne man von einer überstandenen Krise sprechen, so Schulz. Im selben Atemzug kritisierte er die Sparpolitik der konservativen und neoliberalen Parteien: Die sei dafür verantwortlich, dass rund sechs Millionen Jugendliche in Europa keine Arbeit hätten. Der Sozialdemokrat machte der versammelten Menge mit emotionaler Gestik und Mimik deutlich, dass man mitfühlen müsse, um eine gerechtere Politik zu betreiben.

Schulz beschwichtigt Kritiker des Freihandelsabkommens

Anschließend kam er auf ein Thema zu sprechen, das momentan auch vielen SPD-Wählern Kopfzerbrechen bereitet. Am Rande der Veranstaltung hatten sich einige Hundert Menschen aufgestellt, die auf Plakaten einen Stopp des Freihandelsabkommen mit den USA forderten, weil sie eine Gefährdung der ökologischen und ökonomischen Standards in der EU befürchten. Diese Leute sprach Schulz direkt an und beteuerte, dass sie „unbesorgt“ sein könnten. Europäische Standards müssten verteidigt werden: „Wer mit Europa Handel treiben will, muss die Standards der Europäischen Union akzeptieren.“ Linke und Grüne Politiker hatten Schulz in der vergangenen Woche der Heuchelei bezichtigt, weil seine Fraktion im Europaparlament für das Freihandelsabkommen mit den USA gestimmt hatte. Weiterhin kündigte Schulz an, als Kommissionspräsident den Steueroasen dieser Welt den Kampf anzusagen. Er wolle den europäischen Mittelstand stärken, weil „sich die nächste Spekulationsblase bereits aufbläht und die Kreditwirtschaft wieder in die Realwirtschaft investieren muss.“ 

Kampf gegen die Bürokratie

Ein anderes Thema, das dem Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten sichtlich am Herzen lag, war die überzogene Bürokratie in der EU. Man müsse sich in Brüssel wieder mehr mit globalen Aufgaben auseinandersetzen, und nicht damit, wie viel Wasser eine Toilettenspülung in den Mitgliedsstaaten verbrauchen darf. Aus seiner Erfahrung als Bürgermeister einer kleinen Stadt nahe Aachens wisse er, dass das Subsidiaritätsprinzip gelten müsse. Entscheidungen, die auch auf lokaler Ebene getroffen werden könnten, müssten auch genau dort getroffen werden: „Je näher die Entscheidungsfindung beim Bürger, desto höher die Akzeptanz.“

Hohe Wahlbeteiligung gegen nationale Kräfte im Europaparlament

Für einen Appell wandte sich Schulz dann parteiübergreifend an alle stimmberechtigten Bürger. Durch eine hohe Wahlbeteiligung bei der Europawahl müsse verhindert werden, dass rechte Kräfte durch die Abschaffung der Drei-Prozent-Hürde übermäßig zum Zuge kommen. Abschließend sprach der 58-Jährige die Krise in der Ost-Ukraine an, um daran zu erinnern, dass man den Frieden in Europa hart erkämpft habe und diesen mit aller Macht verteidigen müsse. Er werde sicherstellen, dass Europa ein Kontinent des Friedens bleibt: „Ich will ein europäisches Deutschland und kein germanisches Europa!“

Mit seinem Auftritt wird Schulz dem Großteil seiner Zuhörer im Gedächtnis bleiben. Der Sozialdemokrat versteht es, dass Gefühl zu erwecken, dass er sich der Europäischen Union mit Leib und Seele verschrieben hat. Inhaltlich blieb Schulz am jedoch an der Oberfläche der Themen, so dass beispielsweise die Gegner des Freihandelsabkommens vermutlich nicht mit einem besseren Gefühl nach Hause gingen. Für Schulz ging es direkt weiter mit einem straffen Zeitplan: Im Zuge seines Wahlkampfs besucht der Präsident des Europäischen Parlaments an diesem Wochenende  insgesamt acht deutsche Städte.

 

1 Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert