Podiumsdebatte eskaliert:
Studierende setzen Statement

Gemeinsam mit Vertretern aller Parteien über die künftige Hochschulpolitik diskutieren – das war das Ziel einer Podiumsdiskussion, die am 2. Februar an der TU Dortmund stattfinden sollte. Doch daraus wurde nichts: Ein Aufeinandertreffen von vermeintlichen Neonazis und linken Gegendemonstranten eskalierte, noch bevor die Diskussion beginnen konnte – und machte jedes konstruktive Gespräch undenkbar.

Es ist ruhig im Foyer der Emil-Figge-Straße 50. Das Café Chaqwa schließt gerade seine Türen. Es ist kurz nach 18 Uhr am Donnerstagabend. Studierende gehen durch den Haupteingang nach draußen, nur einzelne bleiben im Foyer stehen, bilden Grüppchen. Sie unterhalten sich, über die letzte Vorlesung, über die gleich stattfindende Podiumsdiskussion. Alles wirkt friedlich. Auf einmal öffnen sich die automatischen Türen des Haupteingangs. Eine Gruppe dunkel gekleideter Menschen kommt herein. Fast alle tragen eine Kapuze oder Mütze. Viele haben Bierflaschen in der Hand. Selbstbewusst durchqueren sie das Foyer und versammeln sich am anderen Ende, direkt vor den Hörsälen. Es herrscht fast vollständige Stille.

Dann, plötzlich, schallt eine laute Frauenstimme durch die Halle: „Verpisst euch! Wir wollen euch nicht!“ Sie hat die dunkel gekleidete Gruppe als vermeintliche Neonazis identifiziert. Die wiederum fangen an zu lachen, blicken sich siegessicher in die Augen. In der gesamten Halle wird es jetzt unruhig, Unsicherheit erfüllt die Luft. Immer mehr Menschen betreten das Gebäude, die Stimmung ist angespannt. Dann geht der Hausalarm los. Alle drehen jetzt die Köpfe, wollen sehen, wer den Alarm ausgelöst hat.

Es waren Mitglieder der Autonomen Antifa 170. Sie haben die Seitentüren aufgerissen und kommen mit Luftballons in den Händen von mehreren Seiten in den großen Vorraum. Mittlerweile ist das Foyer so voll, dass man sich kaum mehr um die eigene Achse drehen kann. Dann geht alles ganz schnell: Vertreter des rechten und des linken Spektrums gehen aufeinander los. Schreie sind zu hören. Die Zeit scheint für einen kurzen Moment stehen zu bleiben. Dann, endlich, drängen sich zwei Männer von der Security durch die Massen und lösen die Schlägerei auf.

Laute Proteste in den sozialen Medien

Das Autonome Schwulenreferat (ASR) der TU Dortmund hatte diese Veranstaltung lange im Voraus geplant. Es sollte eine friedliche Podiumsdiskussion zu den anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen werden, Vertreter verschiedener Parteien waren eingeladen. Studierende sollten sich informieren, sich eine eigene Meinung bilden können. Nachdem allerdings bekannt geworden war, dass neben Vertretern der SPD, CDU, GRÜNE, LINKE und FDP auch ein Mitglied der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD, kommen würde, begannen die Proteste in den sozialen Netzwerken.

Bereits zwei Wochen zuvor hatte es in der Uni Magdeburg große Proteste linker Demonstranten gegen den AfD-Landeschef André Poppenburg gegeben, der zu einer AfD-nahen Hochschulgruppe sprechen wollte. Die Situation eskalierte dermaßen, dass er schließlich unter Polizeischutz aus dem Hörsaal gebracht werden musste.

Verschiedene Organisationen riefen vor der geplanten Podiumsdiskussion im Internet dazu auf, sich gegen die AfD-Anhänger zu wehren.

Der AfD begegnen wie in Magdeburg

Unter dem Hashtag #do0202 wurde in den sozialen Netzwerken dazu aufgefordert, gemeinsam gegen die rechten Gruppierungen zu demonstrieren. Das Schwulenreferat bekam für die Einladung des JA-Vertreters Matthias Helferich nicht nur Kritik ab, sondern auch Wut. In einer Stellungnahme vom 30.01.2017 erklärt das Referat, warum es auch diese Partei eingeladen hat. Da die Universität als Veranstaltungsort eine zu Neutralität verpflichtete, öffentliche Einrichtung sei, habe das Referat schlicht und einfach alle Parteien eingeladen, die voraussichtlich bei der kommenden Wahl die Fünf-Prozent-Hürde schaffen und somit in den Landtag einziehen werden. Das sei durch die so genannte „Sonntagsfrage“ ermittelt worden. Die AfD kam demnach in den letzten acht Umfragen konstant auf mehr als fünf Prozent der Stimmen. Unter anderem die Antifa Westfalen gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Auch die TU Dortmund erklärte daraufhin, dass die Entscheidung, einen Vertreter der AfD beziehungsweise der JA einzuladen, allein beim ASR liege.

„Do it like Magdeburg“ − „Macht es wie in Magdeburg“. Das fordern die linken Gegendemonstranten am frühen Donnerstagabend lautstark, während sich die Rechten noch immer im Foyer befinden. Die meisten anderen Zuschauer verhalten sich ruhig, was auch am Großaufgebot der Polizei liegen könnte, das mittlerweile vor Ort ist. Die Anspannung ist trotzdem merklich spürbar. Niemand weiß, was als nächstes passiert. Security und Polizei geben keine Auskunft. Um 19:15 Uhr, also eine Viertelstunde, nachdem die Podiumsdiskussion eigentlich beginnen sollte, werden schließlich die ersten Studierenden in den Hörsaal gelassen. Die Security durchsucht alle Taschen. Die Studierenden werden angewiesen, den rechten oberen Block freizulassen.

Langsam füllt sich der große Hörsaal. Die ersten Studierenden holen Plakate aus ihren Taschen. Rechte sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Raum. Sie sollen warten, bis alle auf ihren Plätzen sind. Erst dann dürfen sie ihre reservierten Plätze einnehmen. Doch dann steht ein Student auf und schreit „Verteilt euch auf alle Plätze. Wir haben keinen Platz für Nazis.“ Es folgt: Zustimmendes Grölen, Applaus, Unruhe. Bald ist auch die rechte obere Ecke besetzt. Die linken Gegendemonstranten fühlen sich überlegen – und zeigen das auch.

„Du kannst schon AfD wählen, aber dann bist du halt kacke.“

Und tatsächlich: Sie machen es ähnlich wie in Magdeburg. Gegen 20:30 Uhr, eineinhalb Stunden nach dem geplanten Beginn der Veranstaltung, muss das Schwulenreferat die Diskussionsrunde absagen. Die linken Demonstranten weigern sich, den Block, der für AfD-Anhänger bestimmt war, wieder freizugeben. Ein friedlicher Ablauf der Veranstaltung ist unter diesen Umständen undenkbar.

Das Autonome Schwulenreferat ist nach der Absage enttäuscht. Sie hatten mit Protesten gerechnet, waren aber entschlossen, das Beste daraus zu machen. „Dadurch dass wir auch verschiedenen Aufforderungen, den Kandidaten der AfD auszuladen, nicht nachgekommen sind, haben wir uns eventuell auch den Zorn der Gegendemonstranten auf uns gezogen“, sagt Cordt von Egidy, Referent des Autonomen Schwulenreferats. Eine Wiederholung der Veranstaltung kommt vorerst nicht in Frage, sowohl aus finanziellen, als auch aus zeitlichen Gründen. Auch die eingeladenen Politikerinnen und Politiker waren sichtlich überrascht und fuhren, ohne ein einziges Wort verloren zu haben, wieder nach Hause. Nadja Lübers, Vertreterin der SPD, äußerte sich kurz nach Ende der Veranstaltung per Facebook zu den Protesten: „Danke an die Studis der TU Dortmund, dass ihr die Plätze nicht für Nazis geräumt habt! Auch wenn die Podiumsdiskussion nicht statt fand, habt ihr mit eurer Haltung gewonnen. DANKE.“

Neonazis haben keinen Platz an der TU Dortmund

Um 21 Uhr ist der Hörsaal fast leer. Die letzten Besucher verlassen den Hörsaal. Wo vorhin noch lautstarker Trubel war, ist es jetzt ganz still. Nur letzte Vertreter des Schwulenreferats sind noch vor Ort und versuchen zu begreifen, was hier vorgefallen ist.

Auch im Foyer herrscht wieder Ruhe. Zwei Männer von der Security unterhalten sich. In den Fluren brennt schon kein Licht mehr. Das Gebäude wirkt wieder friedlich. Draußen stehen vereinzelte Gruppen von Studierenden, die das Geschehene Revue passieren lassen. Hinter ihnen vier Polizeiautos. Dass hier nur eine halbe Stunde zuvor lautstarke Proteste stattgefunden hatten, kann man sich kaum noch vorstellen. Für jemanden, der die Veranstaltung nicht besucht hat, müssen die Polizisten total Fehl am Platz erscheinen.

Die Studentin Dilara aber war dabei und erinnert sich gut, zu gut. Sie fühlt sich durch die Anwesenheit der Polizisten jetzt sicher, sagt sie, sicherer als zuvor. Eigentlich hatte sie sich nur gemeinsam mit ihren Kommilitoninnen die Meinungen der verschiedenen Parteien anhören wollen, um sich auf die anstehende Landtagswahl am 14. Mai vorzubereiten. Der Ausgang der Veranstaltung ist für sie trotz allem in Ordnung: „Ich bin durchaus enttäuscht, dass die Podiumsveranstaltung nicht stattgefunden hat. Aber ich bin auch froh, dass ich nicht mit den Dortmunder Neonazis in einem Hörsaal sitzen musste.“

 

Bilder: Leonie Rottmann