Kanupolo wie Handball auf dem Wasser

Abseits des Fußballs ist der Ruhrpott in vielen Randsportarten ganz groß, auch beim Kanupolo. Wir haben uns beim Bundesliga-Klub Rothe Mühle Essen umgesehen – und die Jungs in Aktion gefilmt.

Auch die Aufstellung beim Kanupolo erinnert an Handball. Die Verteidiger tummeln sich vor dem Tor, um den Gegner möglichst weit davon weg zu halten. Grafik: Alexander Kriebel (Wikimedia)

Auch die Aufstellung beim Kanupolo erinnert an Handball. Die Verteidiger tummeln sich vor dem Tor, um den Gegner möglichst weit davon weg zu halten. Grafik: Alexander Kriebel / Wikimedia

Nicht immer ist es der beste Ansatz, anhand des Namens einer Sportart zu erraten, worum es sich dabei handeln mag. Die erfolglosen Versuche von Unwissenden, hinter das Geheimnis seines Sports zu kommen, kennt Johan Driesen allzu gut. Er spielt Kanupolo. „Wo ist das Pferd?“, hat so manch einer schon gefragt. Oder auch: „Wie jetzt? Alle in einem Boot?“

Ein Spielfeld, zwei Tore, zehn Spieler

Immerhin sind tatsächlich Boote im Spiel. Einerkajaks, um genau zu sein. Je fünf Spieler pro Mannschaft jagen damit einem herkömmlichen Wasserball hinterher. An den Enden des 35 mal 23 Meter großen Spielfelds hängen zwei Meter über der Wasseroberfläche die Tore, anderthalb mal einen Meter groß. „Kanupolo ist ein wenig wie Handball auf dem Wasser“, vergleicht Driesen.

Der 24-Jährige sitzt vor dem Vereinsheim des Kanusportvereins Rothe Mühle Essen (KRM) auf einer Bierbank, neben ihm seine Kollegen Henning Steinhauer und Jakob Husen (beide ebenfalls 24). Das Trio spielt nicht nur zusammen für den Traditionsklub mit der Anschrift „Zornige Ameise 15“, die Drei tragen auch gemeinsam das Trikot der deutschen Kanupolo-Nationalmannschaft. Oder, wie es beim Kanupolo eigentlich heißen muss: die schwarz-rot-goldene Schwimmweste. Vier Trainingseinheiten absolvieren sie gemeinsam unter der Woche, daneben steht ihr Studium im Mittelpunkt. Husen studiert Maschinenbau in Bochum, Driesen dasselbe Fach in Duisburg, Steinhauer macht in Essen Chemie und Sport auf Lehramt.

„Ganz schön Gänsehaut-Style“

Bereits in der U21-Auswahl durften die drei die Luft der internationalen Sportbühne schnuppern, auch wenn Kanupolo in Deutschland weiterhin ein Schattendasein fristet. „Es gibt schon eine Art Boom“, meint Driesen. Früher sei jede Schülermannschaft zur Deutschen Meisterschaft gefahren, heute sei die Qualifikation weitaus schwieriger. „Doch die Medien berichten eben wenig.“ In Frankreich dagegen spielten sie schon vor 4000 Zuschauern. „Dort ist der Sport mit am meisten verbreitet“, sagt Husen, der 2006 von Braunschweig nach Essen zog. „Die finanziellen Möglichkeiten in Frankreich oder Italien sind ganz andere.“ Auch wenn es damals nicht zum EM-Titel bei den Junioren reichte, berichtet Husen noch immer demütig vom Gefühl, als die Nationalhymne ertönte. „Ganz schön Gänsehaut-Style“ sei das gewesen.

Henning Steinhauer ist einer von drei Kanupolo-Nationalspielern aus Essen. Foto: Sebastian Schaal

Henning Steinhauer ist einer von drei Kanupolo-Nationalspielern aus Essen. Foto: Sebastian Schaal

In Essen gibt es neben dem KRM mit der KG Wanderfalke einen weiteren Verein in der Bundesliga. Die großen Konkurrenten von Husen und Co. heißen jedoch Liblar, Meiderich oder Berlin. Gespielt wird in den warmen Monaten unter freiem Himmel. An den Wochenenden kommen alle Teams an einem Ort zusammen und absolvieren mehrere Spiele. „Die ersten Acht der Tabelle spielen dann in Playoffs den Meister aus“, erklärt Driesen. Der Rest der zwölf Teams spielt um den Klassenerhalt.

Für 2010 hatten sich die Jungs von Rothe Mühle einiges vorgenommen. Das Endturnier um die Deutsche Meisterschaft fand vor der eigenen Haustür statt, am Essener Baldeneysee. Im Jahr zuvor war das Team um die Routiniers Michael Konrad (44) und Alan Vessey, ein 40-jähriger Nationalspieler aus Großbritannien, erst im Finale gescheitert. Die Kanupolo-Hauptstadt unterlag der Bundeshauptstadt Berlin. „In der Verlängerung des dritten Endspiels“, sagt Driesen. Noch ein Jahr später steht ihm die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.

Essen auch in der Nationalmannschaft stark vertreten

Im August diesen Jahres lief es zu Hause am Baldeneysee so gar nicht rund. Essen, Zweiter der Vorrunde, verlor zum Auftakt zweimal gegen den KC Wetter das frühe Aus für die Titelträume. Husen, Driesen und Steinhauer bilden in der Kanupolo-Nationalmannschaft einen regelrechten „Essener Block“. Die letzte Titelchance war damit noch nicht verstrichen. Im September fand in Mailand die Weltmeisterschaft statt. Erneut zogen sie im Endspiel den Kürzeren, diesmal gegen Frankreich.

Um auf Nummer sicher zu gehen, trägt man bei Kanupolo gepolsterte Schwimmwesten und einen Helm mit Schutzgitter.

Um Verletzungen vorzubeugen, trägt man beim Kanupolo gepolsterte Schwimmwesten und einen Helm mit Gesichtsschutz. V.l.n.r.: Johan Driesen, Henning Steinhauer, Jakob Husen. Fotos: Sebastian Schaal

Mit ihren 24 Jahren haben die drei Essener jedoch noch jede Menge Zeit, um Titel zu gewinnen. Angefangen mit dem Kanupolo haben sie bereits in jungen Jahren. „Acht bis zehn ist ein gutes Einstiegsalter“, sagt Driesen. Zu spät sei es aber nie. Wer in Essen reinschnuppern will, kann sich die Ausrüstung erst einmal leihen. Danach wird es jedoch teuer. Driesen zählt auf: Alle zwei Jahre ein neues Boot, das koste knapp 2000 Euro. Zudem besitzt er drei Paddel, die Preise für ein gutes reichen von 200 bis 400 Euro.

Hart im Nehmen

Immerhin sind Driesen und seine Kollegen beinahe Ganzjahressportler, der Aufwand lohnt sich also. „Die Ruhr friert nur selten zu. Im Januar machen wir dann einfaches Streckentraining“, sagt er so, als wäre es selbstverständlich, bei Minusgraden Kanu zu fahren. Überhaupt sind die Kanupolisten, wie es korrekt heißt, hart im Nehmen. Mit ihren durchtrainierten Körpern wären Driesen, Husen und Steinhauer in keiner Rugby-Mannschaft fehl am Platz. „Kanupolo ist ein harter Sport, aber es gibt nicht so häufig Verletzungen“, sagt Driesen zumindest nicht solche, die einem am Spielen hindern würden. Am häufigsten seien kleine Finger- und Schulterblessuren.

Gekonnt ist gekonnt: Jakob nimmt den Ball mit dem Paddel an und befördert ihn von da in seine Hand. Fotos: Sebastian Schaal

Gekonnt ist gekonnt: Jakob Husen nimmt den Ball mit dem Paddel an und befördert ihn von dort in seine Hand. Fotos: Sebastian Schaal

Während das Trio noch vor dem Vereinsheim sitzt, steigt im Hintergrund gerade die Jugendmannschaft aus dem Wasser. Das Training der Herren beginnt in wenigen Minuten. Sie müssen noch in ihre Neoprenanzüge schlüpfen. Kurz darauf sitzen sie auch schon in ihren Kajaks. „Zocken?“, fragt Driesen unmissverständlich. Wie beim High Noon auf der Main Street stehen sich die Kajaks beider Mannschaften im Wasser gegenüber. Dann geht’s los. Mit dem linken Paddelblatt befördert Husen den Ball in die Luft, hält ihn mit der rechten Seite hoch, um ihn dann zu fangen und plötzlich schlägt der Ball im Winkel des Tores ein. Kurz zuvor hat Husen bilderreich beschrieben, was er unter einem tollen Spielzug versteht. Wie ein schönes Tor aussieht, kann er aber noch besser vormachen als erklären.

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Video: Sebastian Schaal

Geschichte des Kanupolo

  • 1926:
  • Nur wenige Leute sehen einen Reiz darin, an einem Fluss zu sitzen und für einen kurzen Moment Boote vorbeifahren zu sehen mit Kanupolo wird ein Mannschaftssport als Alternative ins Leben gerufen. In den ersten Jahren gilt der Wassersportverein (WSV) Polizei Hamburg als Vorreiter in Deutschland, bei der Feldgröße und der Spielerzahl orientiert man sich am Fußball.

  • 1935:
  • Die hohen Kosten für Material und Reparatur sowie der bevorstehende Zweite Weltkrieg bedeuten erst einmal das Aus für Kanupolo.

  • 1965:
  • In der Zeitschrift des Deutschen Kanu-Verbandes werden Interessenten gesucht, um Kanupolo wieder aufleben zu lassen.

  • 1971:
  • Der WSV Polizei Hamburg wird erster Deutscher Meister im Kanupolo, nachdem der Sport seine Renaissance erlebt hat.

  • 1977:
  • An der siebten Auflage der DM nehmen schon 37 Mannschaften teil. Gerade an der Ruhr bildet sich ein Ballungsraum für Vereine.

  • 1988:
  • Auf einem Kongress der Internationalen Kanu-Föderation (ICF) werden die Kanupolo-Regeln offiziell anerkannt.

  • 1991:
  • Rothe Mühle Essen gewinnt die ersten Deutschen Meisterschaften auf dem Kleinfeld.

  • 1994:
  • Australien wird in Sheffield (England) erster Weltmeister im Kanupolo.

  • 1995:
  • Die Kanupolo-Bundesliga wird gegründet.

  • 2005:
  • Bei den World Games in Duisburg, den „Olympischen Spielen für Randsportarten“, ist Kanupolo erstmals im Programm.

  • 2006:
  • Die deutschen Damen werden mit ihrem dritten Titel Rekord-Weltmeister.

  • 2010:
  • Deutschland wird sowohl bei den Männern als auch bei den Damen Vize-Weltmeister.

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