Fußballfans im Gewaltrausch

Fans zünden Pyrotechnik im Stadion.

Fans zünden Pyrotechnik im Stadion beim DFB-Pokalspiel. Screenshot: Do1


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Ein Hintergrundbericht von Lena Christin Ohm

Im Fußball eskaliert die Gewalt: Immer neue Schlagzeilen über gewalttätige Fußballfans erschüttern das Land – zuletzt beim Spiel zwischen Dresden und Dortmund. Die Zentrale Informationsstelle für Sporteinsätze (ZIS) meldet einen neuen Verletzten-Rekord. In Dortmund ist die Lage jedoch normalerweise nur einmal im Jahr besorgniserregend.

„Muss ich wieder Angst haben, ins Stadion zu gehen?“, fragt die Online-Ausgabe der BILD einen Tag nach dem DFB-Pokalfinalspiel zwischen dem BVB und Dynamo Dresden reißerisch. Darunter ein Bild der Dresdener Fans, die Bengalos abbrennen. „Wir sehen die hässliche Fratze des Fußballs“, steht darunter. Dass der BVB dieses Spiel mit 2:0 gewonnen hat, ist eine Randnotiz – nicht nur bei der BILD-Zeitung. 24 Stunden später ein anderes Stadion, ähnliche Szenen: Bengalos und prügelnde Fans beim Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Kaiserslautern. Das  Spielergebnis wird zur Nebensache. Überall wird nur über die Gewalt in deutschen Fußballstadien gesprochen – dabei war das Dresden-Spiel zumindest für Dortmunder Verhältnisse eine Ausnahme, nicht die Regel.

„Anfang und Ende der achtziger Jahre wäre ich nicht mit Kindern ins Stadion gegangen, da war es wirklich gefährlich. Jetzt ist das nicht mehr so“, sagt Rolf-Arnd Marewski, der seit 23 Jahren als Sozialarbeiter beim Fan-Projekt in Dortmund arbeitet. Die Medien seien Schuld an der neu aufgeflammten Debatte über Gewalt in Fußballstadien, findet er. Mittlerweile werde viel mehr  darüber berichtet. Deshalb seien alle davon überzeugt, dass es in den letzten Jahren viel mehr Gewalt in deutschen Bundesligastadien gegeben habe. Dabei sei er Ende der Achziger extra wegen der massiven Gewalt in der Fan-Szene eingestellt worden. „Seitdem hat sich die Situation kontinuierlich verbessert“, urteilt Marewski und sieht sich in seiner Arbeit bestätigt.

Gewalt im Fußball auf einem konstant hohen Niveau

Dass die Zentrale Informationsstelle für Sporteinsätze schon seit Jahren über das konstant hohe Niveau von Gewalt im Fußball klagt, kann Marewski nicht wirklich nachvollziehen. „Wenn ich auf die letzten 23 Jahre zurückschaue, muss ich sagen, dass die Gewalt eher weniger geworden ist“, sagt der Sozialarbeiter. Damit steht seine persönliche Einschätzung den offiziellen Angaben der ZIS gegenüber. Demzufolge liege die Zahl der eingeleiteten Strafverfahren in der Saison 2010/2011 um 40 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen zwölf Jahre. In den Stadien der 1. und 2. Bundesliga habe es seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahre 1999 noch nie so viele Verletzte gegeben wie in der vergangenen Saison: 846 Menschen erlitten 2010/2011 beim Besuch eines Fußballspiels eine Verletzung. In der Vorjahressaison waren es nur 784. Dabei treffe es vor allem Unbeteiligte und erst mit Abstand so genannte „Störer“ und die Polizeibeamten selbst.

Peter Andres, Polizeiinspektor in Dortmund.

Peter Andres, Polizeiinspektor in Dortmund. Screenshot: Do1

Diese Zahlen relativieren sich jedoch beim Blick auf die Besucherzahlen: In der vergangenen Saison sahen circa 17,4 Millionen Menschen ein Fußballspiel der 1. oder 2. Bundesliga. Davon erlitten, abzüglich der Polizeibeamten im Dienst, 603 Zuschauer eine Verletzung. Im Verhältnis zu den hohen Besucherzahlen sei das also nur eine verschwindend geringe Minderheit, gibt Peter Andres, Koordinator der Polizeieinsätze im Rahmen von Großveranstaltungen in Dortmund, zu bedenken.

250 bis 450 Krawall-Fans im Stadion

Trotzdem sind es die Randalierer, die in den letzten Tagen die öffentliche Wahrnehmung geprägt haben – und nicht die friedlichen Fans. Schätzungen zufolge sind zwischen 10.000 und 13.000 Dynamo-Fans im Stadion gewesen – darunter 250 bis 450 Krawall-Fans, die die Schlagzeilen dominierten. Sie haben mit Pyrotechnik und Laserpointern beinahe einen Spielabbruch provoziert und im Signal-Iduna-Park in ihrer Zerstörungswut einen Sachschaden von 150.000 Euro angerichtet. Dass immer nur wenige den Ruf aller ruinieren, ärgert Rolf-Arnd Marewski unheimlich – vor allem, weil es meistens zu einer Kollektivbeschuldigung à la „die Dresdener Fans“ kommt. Dabei seien auch die Dortmund-Fans nicht unschuldig: Mit ihrem herausfordernden Spruchband „Europa, wir kommen? Ausreiseantrag abgelehnt“ heizten sie die Atmosphäre weiter auf.

Besonders vorm Revierderby gegen Schalke sei, so Peter Andres, die Stimmung unheimlich angespannt. „Richtig gefährlich sind die Fanmärsche, auf denen die Dortmunder Fans die Gästefans angreifen – dann haben wir bürgerkriegsähnliche Zustände“, sagt Andres, der seit 35 Jahren im Dienst ist. Er habe im Laufe der Zeit erlebt, wie die Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten, aber auch gegenüber anderen Fans immer mehr zugenommen habe. Vor allem die Fans mit einer langen Anreise seien besonders betrunken und würden sich deshalb häufiger daneben benehmen.

Großeinsatz der Polizei beim Derby gegen Schalke

Trotz allem kann Peter Andres die Statistik der ZIS und die darin nachgewiesenen Steigerungen für Dortmund nicht direkt nachvollziehen. Es sei eine saisonale Wellenbewegung – mal mehr, mal weniger. Und Spiele wie die gegen Dresden seien traurige Höhepunkte, die eine sonst relativ weiße Weste beschmutzen. Zwar spiele Gewalt auch in Dortmund eine Rolle, bei jedem Spiel gebe es ein relativ hohes Polizeiaufgebot. Das liege jedoch vor allem daran, dass der BVB eine sehr große und intensive Fanszene und das größte Stadion der Bundesrepublik habe. Das Zusammenspiel dieser Faktoren führe dazu, dass Dortmund statistisch gesehen viele überdurchschnittliche Werte aufweise. „Wir haben zum Beispiel die meisten Stadionverbote, aber das liegt nicht unbedingt an gewalttätigeren Fans, sondern daran, dass wir konsequenter sind als viele andere“, erklärt Andres.

Aufmarsch der Fans von Dynamo-Dresden.

Aufmarsch der Fans von Dynamo-Dresden. Screenshot: Do1

Nur an einem Tag einer jeden Saison, so der Polizeiinspektor, gälten all diese Aussagen nicht: Am Derbytag. Wenn die Schalker ihr Auswärtsspiel in Dortmund haben, ist die Polizei in höchster Alarmbereitschaft. An diesem Tag sei, so Andres, mehr Polizei im Einsatz und die Situation angespannter – der ZIS-Bericht spiegelt in Dortmund also nur den Ausnahmezustand beim Derby wieder.

Aber das hat es in sich: Für das nächste Revierderby am 26. November plant die Polizei verschiedene Maßnahmen, damit sich Szenen wie gegen Dynamo Dresden nicht wiederholen können.Unter anderem sind stärkere Kontrollen und ein Flaschenverbot für das Stadion und einen noch nicht näher definierten Bereich um das Stadion herum geplant. „Das Derby nimmt natürlich – auch was die Sicherheitsbestimmungen angeht – eine Sonderrolle ein“, so Andres. Statt wie üblich vier Hundertschaften seien gegen die Schalker bei den letzten Partien immer acht Hundertschaften im Einsatz gewesen.

In Zukunft möchte der Inspektionsleiter dieses hohe Polizeiaufgebot jedoch wieder reduzieren. Schließlich käme es jedes Mal durch Straßensperren und Kontrollen zu empfindlichen Einschränkungen für alle Dortmunder. „Diese zusätzliche Belastung für die Allgemeinheit tut mir jedes Mal Leid. Das will ich eigentlich gar nicht“, sagt Peter Andres und versichert, dass nur mehr Polizei keine Lösung des Problems darstelle. Es müsse auf allen Ebenen, sowohl bei der Polizei, als auch bei den Vereinen und den Fangruppierungen, etwas getan werden, um die Problemfans von den friedlichen Fans fernzuhalten – damit die friedlichen Fans wieder die Schlagzeilen beherrschen.