„Wir sind doch keine Singlebörse!“

Die Diskussion ist in vollem Gange – und das will auf den ersten Blick gar nicht zu diesem Raum passen: Er ist in warmen Farben gehalten und mit gemütlichen Sitzgelegenheiten eingerichtet. Um einen Tisch herum, auf dem Getränke und Knabberzeug stehen, sitzen 13 größtenteils junge Männer und tauschen eifrig Standpunkte aus.

Die drei Referendare: Jan (26), Sebastian (22), Christian (26), (v.l.n.r.). (Foto: David Freches)

Die drei Referendare: Jan (26), Sebastian (22), Christian (26), (v.l.n.r.). Foto: David Freches

Das Autonome Schwulenreferat der TU Dortmund hat einen Themenabend anberaumt. Motto: „HIV/AIDS – eine kritische Auseinandersetzung“. Jetzt debattiert man offen, ob man ihn auch so durchführen kann oder nicht. Denn bei diesem Themenabend würden auch Stimmen gehört, die der offiziellen Darstellung und dem Zusammenhang von HIV/AIDS in grundlegenden Aspekten widersprechen –  und das passt einigen Mitgliedern gar nicht. „Da kommt dann irgendeine Referentin, wird hier ihre hanebüchenen Thesen los und schreibt sich dann in den Lebenslauf, dass sie an der Uni einen wissenschaftlichen Vortrag gehalten hat. Sowas brauchen wir nicht.“, meint ein Teilnehmer, der – wie die meisten anderen-  aus persönlichen Gründen weder mit Vor- oder Nachnamen genannt werden will. „Es ist aber wichtig, sich auch mit diesen Argumenten auseinander zusetzten, auch wenn sie der persönlichen Meinung widersprechen“ sagt Jan. „Nein, auf keinen Fall! Wir dürfen Leugnern keine öffentliche Bühne geben!“, erwidert daraufhin ein anderer. Es wird sich ins Wort gefallen und je nach Argument zustimmend genickt oder der Kopf geschüttelt. Schließlich wird abgestimmt, ob der Abend wie geplant stattfinden soll: Drei Teilnehmer sind dafür, fünf dagegen, fünf enthalten sich. Der Diskussionsabend findet nicht statt.

„Nicht nur über Sekt und schönes Wetter reden“

„Wie man gerade gesehen hat, reden wir hier nicht nur über Sekt und schönes Wetter, sondern führen Diskussionen mit Tiefgang, die auch gerne mal kontrovers oder hitzig sein können.“, sagt der 26-jährige Christian. Zusammen mit dem gleichaltrigen Jan, ist er einer der Referenten. Beide haben diesen Job seit vier Jahren inne. Seit zwei Jahren werden sie dabei zusätzlich von Sebastian, 22, unterstützt. Der Job der Referenten ist neben der Uni mit viel Arbeit verbunden. „Es fängt bei Kleinigkeiten an: Einkaufen und Gruppenmails für unsere wöchentlichen Treffen schreiben,“ meint Jan, „dann gibt es aber auch längerfristige Dinge. Wenn wir Diskussionsabende veranstalten, muss der Kontakt zu Dozenten und wissenschaftlichen Referenten hergestellt werden, die Finanzen müssen beim ASTA requiriert werden, Räume gebucht, Gruppenaktivitäten geplant und die Homepage gepflegt werden.“ Außerdem ist Autonome Schwulenreferat sehr vernetzt und arbeitet mit der Stadt Dortmund und dem Dachverband schwuler, lesbischer und transidenter Vereine in Dortmund zusammen. Diese Vernetzung ist wichtig, denn das Referat ist auch beratend tätig, etwa bei der Angst vor dem Coming-Out. „Dazu bieten wir eine Sprechstunde an oder reden in der Gruppe offen über die Erfahrungen, die die einzelnen Mitglieder jeweils gemacht haben.“ Bei schwerwiegenden Fällen mit beispielsweise sehr konservativem Familienhintergrund vermittelt das Referat jedoch an Experten. Gleiches gilt für gesundheitliche Fragen.

Jan: "Wir sind eine alternative zur kommerziellen Szene." (Foto: David Freches)

Jan: "Wir sind eine alternative zur kommerziellen Szene." (Foto: David Freches)

„Der ein oder andere sympathisiert mit der CDU“

Das Referat sei eine Anlaufstelle für Homosexuelle, die sich als Studenten in gleichen Lebenssituationen befinden, so Jan. „Außerdem ist unser Angebot kostenlos, das ist für Studenten ja auch nicht unerheblich.“ Dieses Angebot wird wöchentlich von einem Stammkreis von rund zehn bis zwölf Personen angenommen. Einige Besucher kommen erst seit zwei Monaten, andere wie Volker sind schon seit mehr als 15 Jahren dabei. Für die arbeitende Bevölkerung steht die Tür also genauso offen. „Wir grenzen niemanden wegen Aussehen, Ansichten oder Alter aus. Der ein oder andere sympathisiert zum Beispiel mit der CDU.“, erklärt Christian hinzu. „Damit kann ich persönlich gar nicht. Aber ihn deshalb ausgrenzen? Nein.“ Und Jan fügt hinzu: „Es gibt zwar auch Besucher, die nur ein oder zwei Mal kommen. Die sind aber meistens nur auf Partnersuche und bei uns nicht an der richtigen Adresse. Wir sind eine Alternative zur sonstigen Schwulenszene in Dortmund und erfahren dafür viel Lob.“ Außerdem habe das Referat eine Art integrative Funktion, etwa für Studenten aus dem ländlichen Raum, wo das mit der Akzeptanz manchmal schwierig sei. „Die können sich bei uns dann schneller mit anderen Homosexuellen auszutauschen.“

Homophobie spielt an der TU keine große Rolle

Christian: "Wir sind ja kein Dienstleister oder eine Singlebörse!" (Foto: David Freches)

Christian: "Wir sind ja kein Dienstleister oder eine Singlebörse!" Foto: David Freches

Ob die Besucher Angst hatten zum Referat zu kommen? Die meisten schütteln den Kopf. „Vielleicht hat man sich ein wenig unwohl gefühlt, weil man nicht wusste, was einen erwartet. Aber Angst hatte ich nicht“, sagt Theologiestudent Lars. „Leider ist es aber auch im Jahr 2013 in einer Großstadt wie Dortmund so, dass man nicht immer und überall seine Vorlieben offenlegen kann. Die Uni gehört aber nicht dazu.“, sagt ein anderer Besucher, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will. Warum? „Mein Chef muss das hier nicht lesen.“ Homophobie spiele generell keine große Rolle an der TU, so Jan. „Wenn dann ist sie eher unterschwellig, durch blöde Blicke oder vereinzelte Kommentare auf dem Sommerfest, bei dem wir auch jedes Jahr mit einem Stand vertreten sind. Aber man muss auch sagen, dass wir natürlich nur über das berichten können, was uns auch bekannt ist.“ Wäre Homophobie präsenter, so würde das Referat die Gleichstellungsbeauftge der TU, Ute Zimmermann, einschalten und ein Vier-Augen-Gespräch einberufen. Das wäre dann der Fall, wenn zum Beispiel ein Student von einem Professor aufgrund seiner  sexuellen Orientierung benachteiligt werden würde.

Sowohl Christian als auch Jan machen in Bezug auf das Referat einen zufriedenen Eindruck. Wenn sie sich etwas wünschen könnten, dann wäre dies mehr Beteiligung von den Besuchern an inhaltlichen Schwerpunkten sowie engagiertere Besucher generell. Engagierter oder noch engagierter? „Engagierter. Mit der Kritik kann ich leben.“, meint Christian. Natürlich freue man sich, wenn die Besucher innerhalb der Gruppe zueinander fänden, aber das dürfe die Arbeit des Referates nicht in den Schatten stellen. „Wir sind ja kein Dienstleister oder eine Singlebörse, sondern wollen aktiv bleiben!“ Hier stellt sich allerdings die Frage, warum sich bei dem eingangs diskutierten Thema fünf Personen mit ihrer Stimme enthalten haben.

„Über’s schwul sein sprechen ist langweilig“

Der Raum des Autonomen Schwulenreferat im EF 50. (Foto: David Freches)

Der Raum des Autonomen Schwulenreferat im EF 50. Foto: David Freches

Wenn das Autonome Schwulenreferat nicht gerade über anberaumte Themenabende debattiert, sind die Gespräche trotzdem vielfältig. „Schwule wollen ja nicht nur über’s schwul sein sprechen. Das ist doch schnell langweilig.“, lässt Lars wissen. Die weiteren Themen des Abends: Der Euro-Rettungsschirm und Sigmund Freud. Erst kürzlich hat man innerhalb der Gruppe darüber diskutiert, wie und in welchem Stil man für das Referat Werbung machen soll. Unter anderem wurde der Vorschlag geäußert, mit halbnackten Männern zu werben. „Da bin ich entschieden dagegen, damit versauen wir uns nur unser Image.“, stellt Jan fest. Wegen genau diesem Image wurde die Dortmunder Gruppe auf der letztjährigen Bundeskonferenz der schwul-lesbischen Referate scherzhaft als das „konservativste Referat Deutschlands“ bezeichnet. „Aber nur weil ich mich an den gängigen oberflächlichen Klischees nicht beteilige, bin ich doch nicht konservativ!“

Seite 2:  LeBiQ, die Gruppe der lesbischen und bisexuellen Studierenden der TU Dortmund, stellt sich im Interview vor.