Rechts im Museum: Sarrazin spricht in Duisburg

Der Stein des Anstoßes: "Deutschland schafft sich ab." Quelle: DVA Verlag

Der Stein des Anstoßes: "Deutschland schafft sich ab." Quelle: DVA Verlag

Thilo Sarrazin sorgte mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ für viel Wirbel. Jetzt las der Autor in Duisburg aus seinem umstrittenen Werk. Die pflichtlektüre war dabei, schildert die in jeder Hinsicht bemerkenswerte Veranstaltung und geht auch der Frage nach: Wem nützt eine solche Lesung?

Zuerst die Fakten: Im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr2010 ist im Lehmbruck-Museum Duisburg bis zum 9. Januar 2011 eine Ausstellung des Fotografen Horst Wackerbarth zu sehen, die sich mit „globaler Migration“ beschäftigt. Besondere Aufmerksamkeit auf das Thema – Integration – soll am 29. November 2010 ein Vortrag von Thilo Sarrazin, Ex-Bundesbanker, Ex-Finanzsenator und bald wohl auch Ex-SPD-Mitglied, lenken.

Sarrazin erklärte sein Werk

Sarrazin erklärt an ebenjenem Montagabend etwa eine Dreiviertelstunde lang, was er mit „Deutschland schafft sich ab“ meint: Dass der demographische Wandel die Deutschen allmählich aussterben lässt. Dass dies zu allerlei Problemen führen kann. Aber vor allem: Dass Migration dem deutschen Staat nur nützlich sein kann, wenn ausschließlich gebildete, folgsame Menschen einwandern, die auch willens sind, Deutsch zu sprechen und sich anzupassen. Und, dass diese Einstellung statistisch weniger häufig bei islamischen Einwanderer anzutreffen ist.

Sarrazin wird dabei nicht müde zu betonen, dass er von Statistiken spreche, denen man nicht vollständig und blauäugig trauen dürfe, dass somit nicht einzelne Menschen, sondern der Durchschnitt der Migranten gemeint sei. Auch spreche er aus einer ökonomischen Perspektive. Dass sein Buch als kalt oder technokratisch bezeichnet werde, hänge sicherlich damit zusammen.

Nebenher verurteilt der Ökonom die Gastarbeiter-Politik der 60er und 70er Jahre, ohne die der Bergbau im Ruhrgebiet wesentlich eher beendet worden wäre – davon hätte Deutschland, so Sarrazin, nur profitieren können. Insgesamt zieht er den Schluss, dass jedes Land selbst für die eigenen Probleme sorgen müsse.

Sarrazins Gesprächspartner

Die Veranstaltung stören nicht nur die dumpf durch die Glasfassade des Museums schallenden Gesänge der vor der Kunsthalle aufmarschierten Anti-Rassismus-Demonstranten. Vielmehr noch wird ein ernsthafter Diskurs dadurch verhindert, dass die Veranstalter um Museumschef Raimund Stecker dem Sarrazin als Gesprächspartner den Duisburger Kulturdezernenten Karl Janssen sowie den Fotografen Horst Wackerbarth zur Seite gestellt haben.

Künstler Wackerbarth, der vor allem für die Verwendung einer roten Couch in seinen Portrait-Aufnahmen bekannt ist, setzt der Sarrazin’schen Agenda die Utopie einer Welt ohne Nationalstaaten entgegen und verweist auf den einzelnen, gut integrierten Mitbürger; Kulturdezernent Janssen greift auf argumentative, leider nicht untermauerte Integrations-Lobpreisungen zurück – weshalb und vor allem wie Deutschland von Integration profitieren könne, führt er nicht aus. Erst diese Gedanken hätten Sarrazins Nur-die-Schlauen-sind-nützlich-Parolen den Wind aus den Segeln nehmen bzw. eine ernsthafte Diskussion ermöglichen können.

Ignoranz des Publikums

Wo er auftritt, wird es laut: Auch in Duisburg löst Thilo Sarrazin heftige Diskussionen aus. Foto: Richard Hebstreit / wikimedia Commons

Wo er auftritt, wird es laut: Auch in Duisburg löst Thilo Sarrazin heftige Diskussionen aus. Foto: Richard Hebstreit / wikimedia Commons

So wird der Abend abseits von Utopie und Plattitüde vor allem durch die latente Xenophobie und Ignoranz eines überwiegenden Teils des Publikums bestimmt. Angefangen beim Ruf „Wer sind Sie denn?“, als der Fotograf Horst Wackerbarth die Bühne betritt, zeigt es über teils frenetischen, teils ausbleibenden Applaus und durch Zwischenrufe und Wortbeiträge, dass es nicht zur Reflexion der Sarrazin’schen Thesen gekommen ist, sondern diese nur benutzt, um alte Ressentiments gegenüber Fremden in das salontauglich erscheinende Kostüm von Sarrazins wissenschaftlicher Argumentation zu stecken. Besondere Beachtung verdient sich ein Herr, der ausführt, seine Mutter und er hätten das zerbombte Deutschland wieder aufgebaut, doch diese Leistung werde nun zerstört: „Die Türken bluten uns aus!“

Die wenigen für Toleranz und Öffnung eintretenden Wortbeiträge gehen meist in Buh-Rufen oder Gelächter unter.

Wem nützt die Lesung?

Am Ende bleibt die Frage: Wem hat die Veranstaltung genützt? Herrn Sarrazin, der ein Honorar kassiert und einige Bücher verkauft. Dem Veranstalter, der sein Haus medienwirksam präsentiert. Dem Duisburger Kulturdezernenten Janssen, der kostenlos integrations- und wahlwerbend auftritt. Dem Fotografen Wackerbarth, dessen Bilder im Zuge der Veranstaltung besprochen, betrachtet, bisweilen bewundert werden. Dem Publikum, das sich in seiner Meinung pro oder contra Einwanderung bestätigt sieht oder den eigenen Standpunkt überdenkt.
Trotzdem: Richtig glücklich wirkt am Ende niemand.

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