Kommentar: Wer sich liebt, darf heiraten – endlich!

In Frankreich und Spanien gibt es sie, sogar im erzkatholischen Irland: die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Am Freitag (30. Juni 2017) nun hat der Bundestag einen historischen Beschluss gefällt und die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Eine überfällige Entscheidung, aber ein bitterer Beigeschmack bleibt.

Seit 2001 können homosexuelle Paare in Deutschland ihre Lebenspartnerschaft offiziell eintragen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat in den folgenden Jahren mit mehreren Urteilen für weitere Anpassungen an die Ehe zwischen Mann und Frau gesorgt. Dies hat in vielen Bereichen eine Gleichstellung bewirkt: etwa bei der Unterhaltspflicht oder dem Ehegattensplitting sowie dem Erbrecht. Geblieben aber sind wesentliche Unterschiede im Adoptionsrecht und in der Begrifflichkeit „Ehe“. 

Am vergangenen Montag war Angela Merkel bei der Frauenzeitschrift Brigitte zu Gast. Als sie von einem Mann aus dem Publikum nach ihrer Position zur Ehe für alle gefragt wurde, brachte sie erstmals die Möglichkeit ins Spiel, die Entscheidung über eine Öffnung der Ehe „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung“ gehen zu lassen. Während Grüne, Linke, FDP und SPD schon länger die Ehe für alle fordern und sogar vor dem Bundesverfassungsgericht Klage einreichten, sperrte sich die Union bislang. Dass Merkel mit ihrer eher beiläufigen Äußerung eine so gewaltige Lawine lostreten würde, hatte sie wohl selber nicht gedacht. Die Gretchenfrage wurde somit zur „Brigitte-Frage“.

Abstimmung in Rekordgeschwindigkeit

In Rekordgeschwindigkeit, auch unter massivem Druck der SPD, wurde der Gesetzesantrag am Freitag (30. Juni 2017) zur Abstimmung gebracht. Von den 623 anwesenden Abgeordneten stimmten 393 mit Ja, vier enthielten sich und 226 stimmten dagegen – darunter Angela Merkel.

Die Entscheidung für die Ehe für alle war längst überfällig und ist von ungeheurer Symbolkraft. Sie zeigt, dass wir eine weltoffene und tolerante Gesellschaft sind und dass von nun an auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften unter dem vollen Schutz des Staates stehen. Da wo Menschen in guten wie in schlechten Zeiten für einander eintreten und Pflichten übernehmen, müssen auch die gleichen Rechte gelten. Wer sich liebt, darf heiraten – endlich!

Kehrtwende mit politischem Kalkül 

Dennoch bleibt der bittere Beigeschmack, dass eine so wichtige Entscheidung, zumindest in Teilen, zu einem taktischen Manöver im Bundestagswahlkampf geworden sein könnte: Seit zwölf Jahren ist Angela Merkel an der Macht – und nichts ist passiert. Und jetzt, drei Monate vor der Wahl die Kehrtwende? Weg ist das ominöse „Bauchgefühl“, das bisher als Rechtfertigung für eine systematische Benachteiligung herhalten musste? Statt dieses Land aktiv politisch zu gestalten, lässt sich die Kanzlerin von Grünen, SPD, Linken und FDP und nicht zuletzt, der Mehrheitsmeinung der Deutschen, treiben. Gleichzeitig nimmt Merkel Martin Schulz so kurz vor der Wahl nun auch das letzte Thema, mit dem er sein politisches Profil hätte schärfen können. Dass die Kanzlerin bei der Abstimmung dann mit Nein votierte, ist nur ein weiterer Beweis für den Merkel’schen Zickzack-Kurs. 

In einem kurzen Statement nach der Abstimmung im Bundestag rechtfertigte Angela Merkel ihre Entscheidung. Sie sei mittlerweile zu dem Entschluss gekommen, dass auch die Volladoption für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein müsste. Die Ehe, wie sie im Grundgesetz steht, sei für sie jedoch nach wie vor die Verbindung zwischen Mann und Frau. Wohl auch, um konservative Stammwähler nicht weiter zu verprellen, die immer noch nicht gelernt haben, gesellschaftliche Realitäten zu akzeptieren. Oder, um es mit den Worten von Volker Beck (Bündnis 90/Grüne) zu sagen: „Alles andere als Gleichberichtigung ist Diskriminierung.“

Historische Entscheidung für unsere demokratische Kultur

Die Entscheidung des Bundestages bleibt eine historische – nicht nur für alle Schwulen und Lesben in diesem Land, sondern auch für unsere demokratische Kultur. Sie zeigt, dass es auch jenseits der Großen Koalition entscheidungsfähige Mehrheiten gibt und dass gesellschaftliche Wünsche stärker sind, als längst überholte, konservative Wertvorstellungen. In nur wenigen Monaten, wenn die Gesetzesänderung in Kraft tritt, werden Frauen Frauen und Männer Männer heiraten dürfen – und viele werden dies auch tun. Und hoffentlich werden Unwörter wie „Homo-Ehe“ dann endlich aus dem gesellschaftlichen Sprachgebrauch verschwinden und Ehe wird Ehe, unabhängig von Geschlecht und Sexualität. 

 

Beitragsbild: flickr.com / Marco Verch lizensiert nach Creative Comments

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