Sendepause: Leben ohne Kommunikationszwang

Wann darf ich mein Handy ausschalten?

Verzichten fällt den meisten Menschen schwer – besonders bei den neuen Medien. Und überhaupt: Wann darf ich das Handy überhaupt ausschalten? Ist es ok, wenn ich während eines Dates mal eben ans Handy gehe? „Wir haben einen Generationenkonflikt“, sagt Roslon. Die Digital Natives, das sind wir. Die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, ständig ihr Smartphone in der Hand hat und sich ein Leben ohne Facebook kaum vorstellen kann. Dann gibt es aber noch die Digital Immigrants – das sind häufig unsere Eltern. Diese Menschen nutzten das Internet zwar, aber nur sehr selektiv. Sie suchen beispielsweise nach dem nächsten Urlaubsschnäppchen, aber stehen der neuen Technologie grundsätzlich skeptisch gegenüber und wollen sich nicht abhängig machen. Die dritte Gruppe sind die Digital Outsiders – das sind Menschen wie Gottfried Stollwerk, die sich den Medien komplett entzogen haben. Die Gruppen haben völlig verschiedene Nutzungsgewohnheiten: Digital Natives lassen auch nachts ihr Handy an, Digital Immigrants finden das unvorstellbar und Digital Outsiders besitzen gar kein Handy.

Die Welt rast an uns vorbei

„Medienregeln sind nicht klar definiert und sie werden immer unklarer“, erklärt Roslon. Neben dem Generationenkonflikt spielt auch die technische Beschleunigung eine Rolle: Die Entwicklungen kommen so schnell, dass wir mit unseren Gewohnheiten kaum hinterher kommen. Und wenn wir uns gerade an etwas gewöhnt haben, dann kommt auch schon ein neues technisches Gerät auf den Markt. „Das Kernproblem ist, dass wir nicht innehalten und darüber nachdenken können“, sagt Roslon. „Die Industrie verkürzt die Lebenszeit von Technologien künstlich, wir können uns kaum an die Neuerungen gewöhnen.“ Ein Drittel der Deutschen besitzt heute ein Smartphone, erst vor fünf Jahren kamen die Geräte überhaupt auf den internationalen Markt. Wir leben in einer sich ständig beschleunigenden Zeit.

Und genau diese Beschleunigung führt dazu, dass die Zeit an uns vorbeifliegt. Die Welt heute rast nur so vorbei, ist komplexer geworden und undurchschaubarer. „Das subjektive Zeiterleben hängt damit zusammen, wie sehr die Zeit gefüllt ist“, erklärt der Psychologe Tetzlaff. Je mehr die Zeit gefüllt ist, desto schneller rauscht sie auch an uns vorbei. Auf dem Weg zur Uni noch schnell einen Coffee-to-go trinken, in der Bahn schon fünf  Mails beantworten und während des Abendessens ein paar Telefongespräche abhaken – wer möglichst viel schafft, spart nicht Zeit, sondern verliert sie. Denn es verhält sich nach Tetzlaffs Ansicht genau andersherum, als viele von uns heute denken: Erst im Innehalten können wir Zeit wirklich erleben. To-do-Listen abzuhaken, möglichst viel in kurzer Zeit erledigen – das ist der heutige Maßstab, wie man effektiv Zeit sparen kann. „Zeit erleben wir aber gerade dann, wenn wir nichts tun oder absichtlich etwas planen“, sagt Tetzlaff.

„Die Zahl der Handys wird explodieren“

Kommunikationswissenschaftler Roslon ist sich sicher, dass die Handynutzung weiter steigen wird. „Handys werden als allgegenwärtiger Kommunikator überall eingesetzt, die Zahl wird explodieren“, sagt er. Um trotzdem wieder zur Ruhe zu kommen und die Zeit aktiv zu erleben, müssen wir den richtigen Medienumgang lernen. Denn ständige Erreichbarkeit ist dann ungesund, wenn wir aus dem Tun-Modus nicht mehr in den Entspannungs-Modus kommen. Wenn wir für unseren Chef auch sonntags erreichbar sind und ständig unter Strom stehen. Viele Unternehmen haben das mittlerweile auch erkannt. VW schaltet beispielsweise seinen Mitarbeitern mit Firmen-Smartphone nach Dienstschluss den E-Mail-Eingang ab.

„Wir können nicht sagen: Wir leben jetzt alle wie vor 30 Jahren“, sagt Tetzlaff. „Ich denke, dass die neuen Medien auch neue Fähigkeiten bei den Menschen erfordern.“ Er schlägt vor, mehr Medienpädagogik anzubieten. „Es ist erforderlich, dass junge Menschen im Schulbereich Erziehung bekommen. Dass sie kritischer werden und sensibler für die Folgen, wenn sie falsch mit den Medien umgehen.“ Generell müsse man wieder einen Bezug zu seinem inneren Filter, dem Signalgeber, bekommen. „Ich muss wieder auf meine inneren Empfindungen hören, die mir eigentlich sagen: Das reicht jetzt, jetzt telefonier nicht weiter, sondern mach einen Spaziergang draußen!“ Manchen Menschen helfen auch selbstgesetzte Regeln, beispielsweise ab und an einen medienfreien Sonntag einzubauen.

Wer möchte, kann Gottfried auch besuchen. Fotos: Leonie Schwarzer

Wer möchte, kann Gottfried auch besuchen.

Gottfried Stollwerk kennt keinen richtigen Medienumgang und keine Medien. Er weiß, dass er auch einiges verpasst. Aktuelle Reiseblogs im Internet würden ihn schon interessieren. „Aber mich vor den Kasten zu setzen, das ausdrucken zu lassen oder den Drucker zu haben – da wäre ich zu geizig für“, sagt er. Manchmal zweifelt er auch an seinem Lebensstil. Und dann denkt er an seinen Plan B: Leben in einem Haus mit Toilette und Dusche, vielleicht in einer Kleingartenanlage. „Ich habe noch erheblich Angst davor, ‚ohne Sinn‘ durch die selbstversorgerische Arbeit zu leben“, sagt er. Er müsste wieder einkaufen gehen und sich der Welt da draußen anpassen. Aber irgendwann will er es vielleicht wagen.

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