Wie Dortmunder Physiker den Urknall erforschen

Viel wurde über den großen Teilchenbeschleuniger – auch Urknall-Maschine genannt – berichtet. Doch was man mit der riesigen Maschine eigentlich erforschen will, weiß kaum jemand. Ein Dortmunder Physiker erklärt, wie Wissenschaftler am LHC (Large Hadron Collider) ungelösten Rätseln der Physik auf den Grund gehen und was die TU Dortmund damit zu tun hat.

Ursprung unseres Universums: Der Urknall gibt Physikern große Rätsel auf. Bild: © NASA

Ursprung unseres Universums: Der Urknall gibt Physikern große Rätsel auf. Bild: © NASA

Los geht es vor etwa 14 Milliarden Jahren: Das Universum entsteht. Wahrscheinlich durch einen Urknall. Und da beginnt bereits das Problem. Was damals genau passiert ist, kann niemand sagen. Keiner war dabei und Informationen über die ersten Sekunden, Stunden und Jahre nach dem Urknall sind im Universum nicht zu finden. Dabei sind die Prozesse, die kurz nach dem Urknall abgelaufen sind, elementare Voraussetzung dafür, dass wir existieren und die Welt und das Universum so sind, wie sie sind. „Es gibt immer noch ganz wesentliche Fragen in der Physik, die wir nicht beantworten können“, sagt Professor Bernhard Spaan, Physik-Dekan an der TU Dortmund. Antworten auf diese Fragen soll der LHC geben. Im Kleinen soll er die Prozesse und Bedingungen des Urknalls nachstellen. Dabei werden in dem riesigen Teilchenbeschleuniger Protonen (positiv geladene Atombausteine) auf horrende Geschwindigkeiten beschleunigt, um dann aufeinander zu stoßen. Was bei den Kollisionen passiert, erforschen riesige Detektoren. Mit seinen Ergebnissen soll der LHC in bisher unbekannte Bereiche der Physik vordringen.

Es geht um die Masse – letztlich auch um deine

Physik-Professor Bernhard Spaan erklärt, was am LHC erforscht wird. Foto: Jonathan Focke

Physik-Professor Bernhard Spaan erklärt, was am LHC erforscht wird. Foto: Jonathan Focke

Der Urknall hat den Menschen einige spannende Rätsel aufgegeben. Woher zum Beispiel kommt die Masse, die jedes Teilchen, jede Zelle, jeder Mensch besitzt? Wo ist die Antimaterie, die beim Urknall entstanden ist? Und was hat es mit der „Dunklen Materie“ auf sich, die wir zwar nicht sehen können, von der wir aber wissen, dass es sie gibt? Diese Fragen wollen Physiker beantworten. Mit einem Experiment: der Protonenkollision. Das Besondere daran: Die Protonen kollidieren im Teilchenbeschleuniger mit solch immenser Energie, wie es sie nur kurz nach dem Urknall gegeben haben kann. Die Forscher schaffen damit Urknall-Bedingungen im Labor und zerlegen Materie und Energie in ihre Einzelteile.

Bis zu sieben Tonnen wiegt ein Elefant. Doch woher kommt seine Masse? Foto: © Ulla Trampert / pixelio.de

Bis zu sieben Tonnen wiegt ein Elefant. Doch woher kommt seine Masse? Foto: © Ulla Trampert / pixelio.de

Woher kommt die Masse? Jeder Körper, jedes Teilchen hat eine Masse. Ein Elefant hat viel, eine Maus hat wenig und ein Proton hat noch viel weniger davon. Große Massen setzen sich normalerweise aus vielen kleinen Massen zusammen. Ein Elefant besteht aus etlichen Milliarden Zellen, die wiederum bestehen aus Molekülen, die Moleküle aus Atomen und die Atome aus Elektronen, Neutronen und Protonen. All die haben eine bestimmte Masse. Rechnet man sie zusammen, erhält man die Masse des Elefanten. Logisch. Doch das Proton macht Probleme. Ein Proton besteht aus so genannten Quarks. Drei Quarks bilden ein Proton.

Das Problem: Quarks besitzen gar keine Masse. Das fordert das so genannte „Standardmodell der Teilchenphysik“, ein Modell das Teilchen und seine Eigenschaften beschreibt. Quarks sind die elementarsten Teilchen, die wir kennen. Um ihre Eigenschaften zu erklären, dürfen sie keine Masse besitzen. Ein Proton, das sich aus Quarks zusammensetzt, hat dagegen eine Masse. Doch woher kommt die? Wie können Teilchen einerseits masselos sein, zusammengesetzt aber eine Masse ergeben? 0 + 0 = 1? Wie geht das?

„Das wollen wir herausfinden“, erklärt Bernhard Spaan. Die Idee: Es gibt ein besonderes Teilchen, ein hypothetisches Austauschteilchen, das allein für die Masse zuständig ist: Das Higgs-Teilchen. Quarks, die also eigentlich keine Masse besitzen, erhalten ihre Masse erst durch die Wechselwirkung mit dem so genannten Higgs-Feld. Masse ist also keine grundlegende Eigenschaft der Teilchen an sich. Die so entstandene Masse wird durch das Higgs-Teilchen dargestellt. Im Standardmodell ist das Higgs-Teilchen bereits vorhergesagt worden. Nur gesehen oder gemessen hat es noch keiner. Das soll der LHC ändern. Die Forscher hoffen, dass sie bei der Protonenkollision das Higgs-Teilchen mit riesigen Detektoren entdecken können. Um somit das Standardmodell zu vervollständigen und den letzten Baustein zu liefern.

Die Rotations-Eigenschaften von Galaxien werden mit Dunkler Materie erklärt. Foto: © NASA

Die Rotations-Eigenschaften von Galaxien werden mit Dunkler Materie erklärt. Foto: © NASA

Was ist Dunkle Materie?Doch selbst wenn man das Higgs-Teilchen findet und somit das Teilchenmodell vervollständigt hat, gibt es noch einen Haken. Ein Phänomen kann das Modell nämlich nicht erklären: Dunkle Materie. „Das ist Materie im Universum, die wir nicht sehen können“, erklärt Spaan. Diese Materie strahlt weder Licht ab, noch reflektiert sie es. Dennoch wissen wir, dass sie da ist. So lässt sich die Rotation unserer Milchstraße nur dadurch erklären, dass es diese dunkle Materie gibt. Aber wie diese dunkle Materie funktioniert, wissen wir nicht. „Das wäre ein ganz neuer Bereich in der Physik“, sagt Professor Spaan. Physiker schätzen, dass etwa 80 Prozent der Materie im Weltall aus Dunkler Materie besteht. Genauso wie die Materie, aus der wir bestehen, wurde sie beim Urknall erzeugt. Im Teilchenbeschleuniger LHC werden durch die Protonenkollision künstlich Bedingungen hergestellt, wie sie auch winzige Bruchteile einer Sekunde nach dem Urknall geherrscht haben. So hoffen die Wissenschaftler, dass sie auch Dunkle Materie erschaffen können, um sie dann zu erforschen.

Materie und Antimaterie im Vergleich: Die Ladungen sind vertauscht. Grafik: © drillingsraum.de

Materie und Antimaterie im Vergleich: Die Ladungen sind vertauscht. Grafik: © drillingsraum.de

Warum existieren wir?Und noch ein weiteres Rätsel gibt der Urknall den Menschen auf: Wäre bei der Entstehung des Universums alles mit rechten Dingen zugegangen, würde es uns gar nicht geben. Dann gäbe es statt der Materie, aus der wir bestehen, nur Energie in Form von Strahlung. Neben der Materie, wie wir sie kennen, gibt es nämlich noch die so genannte Antimaterie. Sie funktioniert genauso wie normale Materie, der einzige Unterschied: die Teilchen der Antimaterie sind unterschiedlich zusammengesetzt und haben entgegengesetzte Ladungen. Zu jedem „normalen“ Teilchen gibt es ein Antiteilchen.

Trifft ein Teilchen auf sein Antiteilchen, vernichten sich die beiden und es entsteht Strahlung. Wenn es aber zu unseren Teilchen auch Antiteilchen gibt und sich diese gegenseitig vernichten – warum existieren wir dann trotzdem? Beim Urknall ist Energie in Materie und Antimaterie zerfallen. Aus Energie entstanden Teilchen und die dazugehörigen Antiteilchen. Zu gleichen Teilen, wie man meinen müsste. Doch offensichtlich gibt es im Universum mehr Materie als Antimaterie. Sonst würden wir nicht existieren. Denn gäbe es gleich viele Antiteilchen und Teilchen, hätten sie sich gegenseitig ausgelöscht und statt Materie würde im Weltall nur Strahlung existieren. Woher der Überschuss an Materie kommt, weiß bis heute niemand. Auch auf diese Frage soll der LHC Antworten geben. „Wir sind auf der Suche nach dem Effekt, der Materie gegenüber Antimaterie bevorzugt hat“, sagt Spaan.

TU-Physiker am LHC

Riesige Detektoren zeichnen die Teilchenspuren nach der Protonenkollision auf. Grafik: © CERN

Riesige Detektoren zeichnen die Teilchenspuren nach der Protonenkollision auf. Grafik: © CERN

Bei der Suche nach neuen Teilchen und bisher unbekannter Physik sind auch Forscher der TU Dortmund beteiligt. Sie haben bei der Entwicklung der Detektoren mitgewirkt, die die neuen Teilchen entdecken und nachweisen sollen. Eines der Experimente, das am LHC abläuft, ist das ATLAS-Experiment. Im Abstand von Bruchteilen von Sekunden kollidieren hierbei Protonen. Was bei der Kollision passiert, untersucht ein Detektor. Er soll unter anderem das gesuchte Higgs-Teilchen finden. Die Teilchen, die bei der Protonenkollision entstehen, durchlaufen zahlreiche Sensoren im ATLAS-Detektor. „Und der erste Sensor, auf den ein Teilchen trifft, wurde von uns entwickelt“, sagt Bernhard Spaan stolz. Sollte man also tatsächlich das Higgs-Teilchen finden, muss es zuerst am Dortmund-Sensor vorbei. Auch Fragen nach der Dunklen Materie soll das ATLAS-Experiment beantworten.

Warum es im Universum mehr Materie als Antimaterie gibt, das erforscht das LHCb-Experiment, an dem Bernhard Spaan beteiligt ist. Aufwändige Detektoren untersuchen die kleinen Unterschiede zwischen Antimaterie und Materie, die bei der Protonenkollision entstehen. Die Entwicklung des Detektors war extrem aufwändig, berichtet Spaan. „Um sinnvolle Messungen zu erhalten, muss der Detektor sehr nah am Protonenstrahl sein. Aber nicht zu nah. Trifft der Strahl den Detektor, ist der erst mal kaputt.“

Nach einigen Rückschlägen und Betriebsunterbrechungen laufen die Experimente nun auf Hochtouren. Viel Aufwand, Zeit und Geld wurde und wird in die Forschung am LHC investiert. Das alles für winzige Teilchen, die Antworten auf die ganz großen Fragen in der Physik und damit die Grundlage für unsere Existenz geben könnten.

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