Eine Leiche für zehn Studenten

Es riecht nach Desinfektionsmitteln. Das Licht hell, die Fliesen weiß, auf den Metalltischen bräunliche Leichen. Medizinstudenten sehen diese leblosen Körper nicht nur täglich, sie müssen auch das Skalpell ansetzen. Damit beginnen sie an der Uni Duisburg-Essen bereits im ersten Semester. Sie arbeiten an Toten, um später den Lebenden zu helfen. Die Studenten schwanken zwischen Ekel und Abhärtung.

Auch in unmittelbarer Nähe zu den Leichen gruseln sich die Studenten schon seit dem zweiten Tag nicht mehr. (Foto: Sophie Mono)

Auch in unmittelbarer Nähe zu den Leichen gruseln sich die Studenten schon seit dem zweiten Tag nicht mehr. Fotos: Sophie Mono


Der große Raum ist erfüllt von Stimmengewirr. Über hundert junge Menschen in weißen Kitteln sind über die zahlreichen Tische gebeugt, lauschen den Tutoren oder Dozenten, reden oder arbeiten. „Knapp 170 Leute sind hier im Kurs“, erläutert Privatdozent Dr. Hans-Peter Hohn, der zusammen mit Institutsleiter Professor Süleyman Ergün den Kursus leitet. Die Studenten kennen sich bereits ein wenig aus. Sie sind am Anfang des zweiten Semesters.

Vor knapp einem halbem Jahr, in der neunten Woche des Studiums, gingen sie zum ersten Mal in den Präpariersaal, in dem sie mittlerweile fast täglich stehen. Heute sind die angehenden Mediziner locker, während sie die Körper präparieren. Das war nicht immer so. „Die ersten fünf Minuten waren sehr schlimm“, erinnert sich Sarah Faust. Die 19-Jährige steht an Tisch 6. Sie schaut ihren Kommilitonen dabei zu, wie sie versuchen, an dem Körper die Speiseröhre zu lockern, und Leber, Milz und Magen zu präparieren. „Man muss einfach versuchen, sich nur auf die Stelle zu konzentrieren, an der man gerade arbeitet. Man darf nicht das Gesamte sehen“, erklärt sie. „Zugedeckt sind die Körper viel gruseliger, als ohne Plane.“

Bunte Wollfäden kennzeichnen Adern und Nerven

PD Dr. Hohn besteht auf einen pietätvollen Umgang mit den Präparaten. Eine lockere Stimmung im Kursus ist ihm trotzdem wichtig. (Foto: Sophie Mono)

PD Dr. Hohn besteht auf einen pietätvollen Umgang mit den Präparaten. Eine lockere Stimmung im Kursus ist ihm trotzdem wichtig.

Sarah hat recht. Der Leichnam, an dem die Studenten arbeiten, ist lange nicht so furchteinflößend wie der abgedeckte Körper aus dem Nebenraum. Er gleicht vielmehr einem Skelett mit Organen als einer kompletten Leiche. Schon seit mehreren Monaten wird der Körper von Studenten bearbeitet. Die Haut ist abgetragen worden, von Blut oder Fettgewebe ist keine Spur mehr. Stattdessen sind die Knochen deutlich zu sehen, ebenso wie zahlreiche Muskeln.

Sarah zeigt auf die grauen wurmähnlichen Teile, die vor allem den Brust und Halsbereich des Körpers ausmachen. Sie sind an manchen Stellen mit bunten Wollfäden umwickelt. „Die Venen haben wir blau gekennzeichnet, die Arterien rot und die Nerven gelb.“ Auch am Brustkorb ist keine Haut mehr vorhanden. Er ist geöffnet, alle Organe sind sichtbar. Der Kopf wird erst im dritten Semester bearbeitet. Hier ist die Haut noch unversehrt. Bräunlich guckt sie unter einem nassen weißen Tuch hervor. Der Stoff soll das Gesicht abdecken und es zugleich vor dem Austrocknen schützen. Ein chemischer Geruch steigt von dem Tuch auf. Es ist der Geruch, der schon im Flur die Luft verklärte. „Formalin“, erklärt Dozent Hohn.

Der Hochschullehrer geht von einem der 16 Präpariertische zum nächsten, schaut Studenten und Hiwis über die Schulter, gibt Ratschläge und Erklärungen. „Die Präparate werden vor Kursbeginn ein halbes Jahr lang in Formalin eingelegt. Es denaturiert das Gewebe. Somit findet keine Verwesung statt und die Muskeln bekommen diese bräunliche Farbe“, sagt Hohn. Er strahlt Gelassenheit aus. Seit 1989 ist der Biologe als Dozent an der Uni Duisburg-Essen tätig. „Eigentlich wollte ich Biotechnologe werden, aber dann bin ich doch hier gelandet.“ Zu bedauern scheint er es nicht. „Es macht mir Spaß, mit Studierenden zu arbeiten. Wenn ich mich recht an meinen Beginn in der Anatomie erinnere, hatte ich nicht so starke Beklemmungen wie die Studierenden am ersten Tag. Das liegt vielleicht daran, dass ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin und zumindest der Tod von Tieren zum Leben gehörte.“

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