Die Botschaft ist angekommen

So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das ist das zentrale Ergebnis des Bildungsstreiks 2009. Die Bologna-Reform muss zügig reformiert werden, darin sind sich endlich alle einig. Mit zahllosen Demos, Flashmobs und Hörsaalbesetzungen haben Zehntausende Studenten in den vergangenen Monaten nicht nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen, sondern auch Hochschulen und Politik massiv unter Druck gesetzt. Der Protest trägt bereits erste Früchte. Doch der Kampf für bessere Bildung hat erst begonnen.

Die Streikenden wurden erhört: Bologna soll reformiert werden.

Die Streikenden wurden erhört: Bei Bologna soll nachgebessert werden.

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Der Grundstein dafür, dass Bachelor und Master überarbeitet werden, ist gelegt: Politik, Hochschulen und Öffentlichkeit denken radikal um. Jahrelang wurden Kritiker, die Probleme bei der Einführung von Bachelor und Master bemängelten, als Ewiggestrige gebrandmarkt. Doch jetzt ist klar: Wir haben ein Problem. Der Dortmunder Prorektor für Studium, Walter Grünzweig, formuliert es so: „Es hat jahrelang ein Redeverbot gegeben. Wenn wir nicht immer gezwungen gewesen wären, Bologna in den Himmel zu loben, hätten wir die Probleme viel früher beheben können.“

Dass mit dem Gutwettermachen jetzt Schluss ist, können sich die Protestler als Erfolg auf ihre Fahnen schreiben. Als im November die Proteste der Studierenden eskalierten, mussten Politik und Hochschulen reagieren, und sie haben reagiert: Die Kultusminster beschlossen eilig, dass der Bachelor künftig besser studierbar sein muss. Die Rektoren der NRW-Unis verpflichteten sich zu einer Art Bologna-Check: Ist der Bachelor in einzelnen Fächern überladen? Gibt es zu viele Prüfungen? Können die Studierenden problemlos ins Ausland gehen? All das soll bis zum Semester-Ende überprüft werden.

Die Reparaturen an Bachelor und Master laufen auf Hochtouren.
An der Ruhr Uni Bochum haben alle Fachschaften mit ihren Dozenten Arbeitskreise gebildet, um den Bachelor- und Masterstudiengängen auf den Zahn zu fühlen.

Auch an der TU Dortmund sind Studenten und Lehrende im Dialog. Die Mathe-Fakultät etwa arbeitet an einer neuen Studienordnung. „Wir wollen das strenge Korsett der Bachelor-Studiengänge lösen, so dass die Studenten zum Beispiel pro Semester nicht immer auf 30 Credits kommen müssen“, erklärt Fakultäts-Prodekan Lorenz Schwachhöfer.

Protest 2.0: Flashmob in der Bochumer Innenstadt.

Protest 2.0: Flashmob in der Bochumer Innenstadt.

An der Uni Duisburg-Essen hat der Bildungsstreik bereits ein handfestes Ergebnis gebracht. Es geht um das brisante Thema Anwesenheitspflicht. Das Justiziariat der UDE hat festgestellt, dass in Vorlesungen und Übungen „eine Pflicht zur regelmäßigen Anwesenheit der Studierenden zur Erreichung des Lernziels (…) regelmäßig nicht erforderlich“ sei. Nach Rektoratsangaben werden die einzelnen Fakultäten ihre Regeln in Sachen Anwesenheit zum Sommersemester ändern. Das Institut für Politikwissenschaft hat zum Beispiel schon reagiert und die Anwesenheitspflicht für Tutorien aufgehoben. Zudem wird an der UDE die Rahmenprüfungsordnung, an der sich die Prüfungsordnungen aller Fakultäten orientieren, gerade im Senat überarbeitet. „So wie in NRW Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt wurden, konnte nicht alles optimal laufen. Wir haben teilweise Handlungsbedarf“, erklärt der Prorektor der UDE für Studium und Lehre, Franz Bosbach. Er sagt aber auch: „Änderungen gehen nicht von heute auf morgen vonstatten.“

Mal fix ein paar Prüfungen streichen? Von wegen.
Tatsächlich gilt: Mal eben ein paar Prüfungen streichen – das ist nicht. Vielmehr hängt an so einem Plan ein ordentlicher prozessualer Rattenschwanz, Beispiel TU Dortmund: Erst müssen sich Lehrende und Studierendenvertreter an Lehrstühlen und in den Instituten einigen, dann in der Fakultät. Ist das geschafft, landet der Änderungsvorschlag beim Rektorat, das ihn weitergibt an die Verwaltung. Die prüft die Sache formal und juristisch und schaut, ob die Vorschläge umgesetzt werden können. Nächste Station ist die Senatskommission Studium und Lehre (kurz: Lust-Kommission), die ans Rektorat eine Empfehlung gibt, ob dem Antrag stattzugeben ist. Schließlich entscheidet, natürlich: das Rektorat. So. Und wenn man sich vorstellt, dass sich diese Gremien teilweise nur alle paar Wochen treffen, ist klar, warum erst wenige greifbare Ergebnisse auf dem Tisch liegen.

Wird in einem Studiengang etwas Substanzielles verändert – zum Beispiel der Name – kommt sogar noch eine Hürde hinzu: Dann muss die Uni eine Akkreditierungsagentur konsultieren. Die Akkreditierungsagenturen, in denen Profs, Studenten und Vertreter aus der Berufspraxis sitzen, haben einst jeden Bachelor- und Masterstudiengang vor der Einführung geprüft. Wenn jetzt alles anders laufen soll, haben sie wieder ein Wörtchen mitzureden.

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Standen die Unis wie das Kaninchen vor der Schlange?
Und mit den Akkreditierern ist das so eine Sache: In der Diskussion um die Bachelor-Misere avancierten sie zum Buhmann Nummer Eins. Ihnen wurde vorgeworfen, den Unis mit kleinkarierten Vorschriften das Leben schwer zu machen. Was die  Nachbesserungen an den neuen Studiengängen angeht, sieht der deutsche Chef-Akkreditierer Achim Hopbach aber die Hochschulen in der Pflicht. Die seien „vor allem in der Anfangszeit sehr zögerlich gewesen“, aus Sorge, der Akkreditierungsstatus könne in Gefahr geraten. Dafür habe er grundsätzlich Verständnis, schließlich sei der Akkreditierungsprozess auch für Universitäten „neu und nicht einfach“ gewesen. Aber: „Teilweise standen die Universitäten hier wie das Kaninchen vor der Schlange.“ Hopbach stellt klar: Die Hochschulen müssen nicht mit jedem Änderungswunsch zur Agentur gehen. „Wenn zum Beispiel in einem Modul mit fünf Lehrveranstaltungen die Prüfungszahl von fünf auf zwei Prüfungen reduziert werden soll, dann muss die Agentur nicht gefragt werden. Schließlich ist es absolut nicht im Sinne von Bologna, ein Modul mit fünf Prüfungen abzuschließen.“

Alleine will niemand an den Problemen mit Bologna schuld sein. Auch die Unis nicht, das ist klar. Sie wünschen sich mehr Freiheiten von den Vorgaben der Kultusminister und Akkreditierer.  Gleichzeitig aber gilt: Ohne die Hilfe der Politik geht es nicht. „Die neuen Studiengänge sind nicht zum Nulltarif. Bologna verlangt kleinere Gruppen und dafür haben wir nicht die finanzielle Ausstattung bekommen“, sagt UDE-Prorektor Bosbach: „Die Politik hat das aber verstanden.“ Der Dortmunder Prorektor Grünzweig erklärt zudem: „Gerade in Zeiten der Finanzkrise müssen wir verstehen, dass die Möglichkeit, Hochschulen besser zu finanzieren, Grenzen hat. In anderen Bereichen des öffentlichen Lebens muss man auch mit weniger Geld auskommen.“ Etwas Abhilfe könnte der Bund schaffen: Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat versprochen, die Länder bei den Bildungsausgaben künftig stärker zu unterstützen. Bisher ist aber unklar, in welcher Form die Länder das Geld bekommen und ob sie frei über die Verwendung entscheiden können.

Auch mancher Prof wünscht sich das Diplom zurück

Statistik-Professor Walter Krämer fackelte im Herbst einen Bachelor-Schein ab.

Statistik-Professor Walter Krämer fackelte im Herbst einen Bachelor-Schein ab.

Die Baustellen, die die Bachelor-Einführung hinterlassen hat, sind groß. Da fragt sich mancher bereits, ob es nicht besser wäre, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Eine Gruppe Dortmunder Dekane wagte im vergangenen Jahr den Vorstoß, das Diplom parallel zum Bachelor wiedereinführen zu wollen. „Bachelor und Master sind Mickey-Maus-Abschlüsse“, sagte der Vater der Initiative, Statistik-Professor Walter Krämer. Bei NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) allerdings bissen die Revolutionäre auf Granit. Der Liberale steht hinter Bologna: „Das Bachelor- und Mastersystem ist Ausdruck einer Verpflichtung gegenüber Studierenden, einen klar strukturierten Studienverlauf und gute Betreuung zu gewährleisten.“

Ähnlich sieht das der Bochumer Rektor Elmar Weiler: „Es ist eine Schande, dass der Bologna-Prozess als solcher jetzt nur negativ dargestellt wird. Wir in Bochum haben positive Erfahrungen gemacht und die Abbrecherquote ist drastisch gesunken.“ Die RUB war Vorreiter bei der Einführung von Bachelor und Master und Weiler ist überzeugt: „Der Hauptnutzen von Bologna ist, dass viele Studierende die stärkere Strukturierung als Erleichterung empfinden.“ Der Rektor gibt aber auch zu: „Das Rad wurde vielleicht an mancher Stelle überdreht. Hier müssen wir nachbessern.“

In der Tat lassen die Unis zurzeit wenig Zweifel daran, dass sie jetzt wirklich etwas verändern wollen. Ob sich die Studentenproteste im Jahr elf nach Beginn des Bologna-Prozesses mit gleicher Intensität fortsetzen werden, wie sie 2009 endeten, wird davon abhängen, wie schnell es Hochschulen und Politik gelingt, spürbare Verbesserungen an den Unis herbeizuführen. Das bundesweite Bildungsstreik-Bündnis hat bereits weitere Proteste angekündigt. Es könnte ein heißer Sommer werden.

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Fotos: Florian Hückelheim, Daniel Gehrmann

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